Montag, 25. Juli 2011

Meine philippinische Gastfamilie und meine Anpassung in die philippinische Dorfgesellschaft

Hier und dort habe ich die Familienmitglieder meines Haushaltes schon vorgestellt.

Dennoch möchte ich gerne zusammenfassen, wer welche Rolle in meiner unmittelbaren Umgebung einnimmt und wie wir leben.

Die Familie
  • Familienoberhaupt ist Herminoguildo Betito (75) - tatay [Cebuano: Großvater] genannt. Er war 30 Jahre lang barangay kapitan [Bürgermeister] des 500-Seelen-Dorfes Bunyasan, in dem ich lebe. Noch heute kommen allerlei Nachbarn, um ihn zu privaten Angelegenheiten um Rat zu fragen. Ansonsten ist er sehr trinkfreudig und beginnt meist nach dem Mittagessen mit einem Glässchen Rum. Da einer seiner Töchter ein Jeepney [Überlandbus] gekauft hat, hat das Ehepaar Betito eine finanzielle Einkommensquelle.
  • Faustina Betito (73) - nanay (Cebuano: Großmutter) genannt. Sie ist die Ehefrau von tatay und Mutter von den gemeinsamen fünf Kindern. Beide Töchter -wobei eine die Mutter meiner Freundin ist - leben in Deutschland, ein Sohn ist auf Cebu, ein Sohn ist barangay kapitan eines Nachbardorfes und das 40jährige Nesthäkchen Ronny kennt ihr als meinen Bodyguard. Ohne nanay würde das Jeepney business bankrott gehen, denn sie macht alles kaufmännische und achtet darauf, dass tatay nicht mehr Pesos ausgibt als einnimmt.
  • Evani Dayog (21) ist als Hausmädchen beim Ehepaar Betito beschäftigt. Diese junge Frauzog nach ihrem Highschoolabschluss im Hause Betito ein, um dort ein Haushaltsjahr zu absolvieren. Das Modell Haushaltsjahr kennt man aus der deutschen Nachkriegszeit, in dem junge Frauen lernen in einer fremden Familie einen großen Haushalt zu managen. Evanis Familie lebt zwei Häuser weiter. Wobei der Begriff Haus sehr großzügig gewählt ist. So leben ihre Brüder im Alter von 3 - 24 Jahren zusammen mit ihren Eltern in einer Zwei-Zimmer-Hütte mit festgestampften Lehmboden. Das hält sie jedoch nicht davon ab eine Hi-Fi Anlage und Flachbildfernseher zu besitzen.
  • Eman(uel) Apac Sajor (20) lebt seit zwei Jahren bei den Betitos. Er ist irgendwie Familienmitglied 2. oder 3. Grades mit nanay verwandt. Seine Mutter schickte ihn aus den Slums von Butuan City fort in den Norden Mindanaos, damit er seinen Highschoolabschluss machen kann. Im Gegenzug unterstützt er das alte Ehepaar bei den täglich anfallenden Haushaltsaufgaben. Dabei leistet er jedoch weniger als Evani, da er als Junge mehr Freiheiten besitzt und diese auch sehr ausnutzt. Meistens ist er auf dem Basketballfeld zu finden.

Das Haus
Wir leben für die hiesigen Verhältnisse sehr komfortabel. Es ist das drittgrößte Haus im Ort. Das größte hat eine Dame, die lange Zeit in Singapore Hausmädchen war und das 2. gehört dem einzigen anderen Europäer weit und breit. Einem Griechen, der seine Rentenjahre mit seiner jungen philippinischen Frau in ihrem Heimatdorf verlebt. 


Das Haus hat zwei Stockwerke und einen großen Garten mit Hühnern, einem Wachhund, der vor allem Angst hat und einer Katze. Zudem haben wir verschieden Pflanzen wie Banane, Kakao, tambis und Kokosnuss im Garten.

Im Garten befindet sich auch die abuhan - die dreckige Küche - die aus einer Feuerstelle besteht auf den die Töpfe gestellt werden. Natürlich haben die Betitos auch eine richtige Küche im Haus, die aber nie genutzt wird, abgesehen von den zwei Kühlschränken. 
Im Ergeschoss befindet sich das Wohnzimmer und die Essecke und das Schlafzimmer. Im haus ist eine Dusche und eine separate Toilette, die jedoch nicht genutzt wird. Nur vom Garten zugängigen Hausanbau werden als Dusche und Toilette genutzt.
Im zweiten Geschoss befinden sich dann jeweils Evanis, Emans und mein Schlafraum.

Wäsche waschen
Heute habe ich zum ersten Mal meine Wäsche gewaschen. Nanay war ein bisschen sauer auf mich, da ich als Gast nicht meine Wäsche von Evani waschen gelassen habe.
Das wäre für sie auch viel zu anstrengend gewesen und außerdem wollte ich gerne meine Schmutzwäsche selbst waschen. bevor ich es vergesse zu erwähnen, Wäsche waschen ist Handarbeit. Zudem war das Erledigen von Haushaltsarbeit mal eine willkommene Abwechslung für mich, da ich bisher nur bedient wurde und ich die gesamte Zeit nur rum saß. Wie man "Arbeit" vermissen kann. 
Gewaschen wird in einer Plastikwanne mit Wasser und Waschpulver, in der ich erstmal die Wäsche einweichen lasse. Dann wird die Wäsche geschrubbt, ausgewringt und in eine zweite Wanne mit klaren Wasser gelegt. Der Vorgang wird solange wiederholt bis das Waschpulver aus der Kleidung daußen ist. 
Meine ehemals feinen weiche Hände ertragen das Auswringen und das Waschmittel nicht so wirklich. Sie jucken, sind rot und haben Blasen. 

Geselliges Zusammensein

...nervt tierisch! Na klar, wollen alle super Gastgeber für mich sein. Das schließt leider mit ein, dass immer ein oder mehr Personen bei mir sind und mich bespaßen wollen. Ich werde sogar bis zum Klo begleitet und meine Begleitung bleibt dann vor der Tür stehen. Immerhin ;) Evani bleibt sogar bis Mitternacht in meinem Zimmer hocken, obwohl ich meine ersten Forschungsergebnisse niederschreibe und ihr sage, sie könne ruhig schlafen gehen, sie muss ja um halb 5 wieder aufstehen und Reis für das Frühstück kochen. Deshalb sage ich von vornherein, dass ich schlafen gehe und dann vor dem Zubettgehen noch ein oder zwei Stunden nur für mich habe.

Alltagsleben
Ich stehe meistens etwas später auf, weil ich noch etwas unter dem Jetlag leide. Langsam muss ich aber mal früher aufstehen, um die Frühstückszubereitung und -einnahme für meine kulinarische Forschung zu dokumentieren.

Eigentlich werde ich mit dem Haus um halb 5 wach, weil Filipinos keine leisen Menschen sind. Das Jeepney fährt jeden Morgen nach Surigao City und die Arbeiter beladen und reinigen es. Zudem nehmen sie die Bestellungen des Ortes entgegen. Demnach ist morgens im Garten die Hölle los. Zusätzlich zum Krach der Arbeiter, gesellt sich Hahngekrähe hinzu und WARUM auch immer, wird bereits direkt nach dem Aufstehen lautstark an mehreren Orten gleichzeitig Karaoke gesungen!Es ist egal, wie arm die Leute hier sind, sie haben einen Fernseher und eine Karaokemaschine, auch wenn sie nur Lehmfußböden und Duschvorhänge als Raumtrenner besitzen. 


Der definitive Vorteil morgens früher aufzustehen ist, dass es die kühlste Zeit am Tage ist. Die Hitze ist nach wie vor unerträglich für mich! Nirgends begegnet man mir ohne papay [Cebuano: Fächer] sehen oder einem kleinen Stofftaschentuch als Schweißtuch. In den Häusern gibt es zudem Ventilatoren, vor die ich mich gerne setze. Ich bin eindeutig kein Tropenmensch - so far.


Cebuano

Meine Sprachkenntnisse machen unfassbar krasse Fortschritte. Gestern auf einer meiner Willkommensparties konnte ich bereits viel Visayan sprechen. Leider spreche ich es besser als dass ich es verstehe. Hängt wohl damit zusammen, dass ich meine Vokabeln schnell beherrschen gelernt habe, es aber im Gespräch das Problem besteht, dass mein Sprachschatz noch zu klein ist. 
Wie oben erwähnt, lebt hier seit 8 Monaten auch ein Grieche. Und tataaa: er spricht fließend Deutsch. Da er als einziger Europäer und dazu noch meiner Heimatsprache mächtig ist, war ich jetzt öfters bei ihm zu Besuch. Ein bisschen spooky ist er aber dennoch, weil er sich nicht die Mühe macht die hiesige Sprache zu lernen und eine 40 Jahre jüngeren Ehefrau hat. Solls ja geben. Er betreibt auch einen Kiosk hier im Dorf und ist gleichzeitig ein vertrauenswürdiger Geldwechsler. Hier kann ich meine 500 Peso Scheine (~8,25 Euro) wechseln, die sonst kein Kiosk annehmen will.
Ein Küken für die lieben Zuhause?
Ich fahr ja vollkommen auf unsere Hühnerküken ab. Seit meinen Kindertagen, hatte ich keine Küken mehr auf dem Arm. Vani glaubt mir nicht, dass nur noch wenige Haushalte in Deutschland Hühner halten. Sie schlug mir vor, dass ich meiner Familie ein paar Küken als Reisegeschenk nach Deutschland mitbringe.

Hühner sind einer der vielen kulturellen Unterschiede zwischen der deutschen und der philippinischen Kultur. Für viele Filipinos ist es der größte Traum, im Ausland zu leben und zu arbeiten, um für die Familie Geld zu verdienen. Das größte Problem dabei ist, dass davon ausgegangen wird, dass das Leben im Westen genauso wie auf den Philippinen funktioniert. Vieles, was ich aus Deutschland berichte, wird als nicht wahr aufgenommen. Es widerspreche, was meine neuen Bekanntschaften in den Hollywoodproduktionen sehen. Leider stehe ich auch vor dem problem, dass viele nicht wissen, wo genau Europa liegt - geschweige denn Deutschland.


Philippinische Eigenarten

  • Gesungen wird immer. Mit Mikro oder ohne. Das ist ganz gleich. Vor allem beim Karaokesingen ist es schön die menschen zu beobachten. Für die Länge eines Songs sind sie die größten. Wenn jemand mal nicht singt, dudelt irgendwo ein Song blechern aus einem Handy.  Die Devise lautet: Nichts ist schlimmer als Ruhe.
  • Eine ganz schlimme Eigenart, die ich mir bereits angewöhnt habe, ist das ständige ausgerufene HÄ?!, wenn man etwas nicht gehört hat oder etwas Gesprochenes wiederholt werden muss. Hä?! hört man gefühlt jede 4min irgendwo im Hörradius.
  • Was ich besonders wundervoll finde, ist das Augenbrauen hochziehen während eines Gespräches. Es symbolisiert dem Sprecher in einem Dialog entweder aufmerksames Zuhören  ("Ich höre Dir zu") bzw. einer Bestätigung ("Ja!"). Somit nicke ich nicht mehr beim Zuhören, sondern ziehe die Augenbrauen hoch. 
Meine Anpassung an den philippinischen Lebensstil (Ergänzung 28.08.2011)
Manchmal bin ich andererseits sehr erstaunt, wie sehr ich mich an die philippinische Kultur angenähert habe:
  • ich schreie laut und wiederholend einen Namen bis mir die Person mit einem Oo (Ja) oder Lynn/Marlen reagiert.
  • Schlinge ebenfalls den Reis in einem Mordstempo herunter. Ansonsten habe ich mir meine Tischmanieren erhalten können. Rülpsen am Tisch mache ich (noch) nicht ;)
  • Selbstverständlich nehme ich fremde Kinder auf den Schoß, wenn eine Familie in einem Jeepeny oder Tricycle dazu steigt. Ganz zum Schreck des Kindes. 

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